Zurzeit fällt es mir nicht leicht, konzentriert bei der Sache zu bleiben, die ich gerade tun will. Zu banal erscheinen mir diese Dinge im Vergleich zu dem, was gerade in der Welt passiert. Menschen erleben Krieg, sind auf der Flucht, verlieren geliebte Angehörige und Freunde. Wie kann ich da einfach so weitermachen wie bisher? Und wen interessiert das überhaupt angesichts der aktuellen Situation?
Wohl jeden von uns erfüllt der Gedanke an die Ukraine mit Sorge. Was dort passiert ist schockierend, kaum fassbar und auch beängstigend.
Viele wollen jetzt etwas tun, in irgendeiner Art und Weise hilfreich sein. Wir können für den Frieden auf die Straße gehen, wir können an Vereine und Organisationen spenden oder vielleicht ukrainische Menschen, die in unserer Stadt angekommen sind, tatkräftig unterstützen. All das ist so wichtig!
Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir uns von unseren Sorgen und Ängsten nicht davontragen lassen. Und dass es uns gelingt, trotz der schlimmen Ereignisse gut für uns zu sorgen und in unserem Körper und Herzen gesund zu bleiben.
Tu Dich mit anderen zusammen.
In einem Netzwerk gelingt es oft leichter, Ideen zu entwickeln und hilfreiche Kontakte zu aktivieren, als wenn jede und jeder von uns versucht, allein etwas auf die Beine zu stellen. Also tausche Dich aus mit Familie, Freunden und ggf. Deinem beruflichen Netzwerk, damit Ihr gemeinsam gezielt unterstützen könnt. Wer hat welche Möglichkeiten, wer hat schon Erfahrung mit Hilfsprojekten oder -organisationen, wer kennt jemanden, der nützlich sein kann, wer hat vielleicht eine fachliche Expertise, die den Menschen, die schon bei uns angekommen sind, helfen könnte?
Schalte die Nachrichten mal aus.
Gut informiert zu sein, ist wichtig und auch nützlich, damit wir wissen, wie die aktuelle Lage ist und damit wir möglichst gezielt und hilfreich da unterstützen können, wo es gerade am meisten gebraucht wird. Ein Zuviel an Nachrichten kann aber unsere Sorgen noch verstärken. Nämlich dann, wenn sich unsere Gedanken nur noch um dem Krieg, das Leid der Menschen und die Wut auf den Aggressor drehen. Und wir vielleicht so voller Sorge und Angst sind, dass wir uns selbst nicht mehr handlungsfähig fühlen.
Das Radio auszuschalten bedeutet nicht, dass wir uns nicht für die Geschehnisse interessieren. Es hilft, unseren Fokus für eine Zeit mal wegzunehmen von dem Leid, das dort geschieht und öffnet einen Raum, im dem wir uns etwas Gutes tun können.
Sorge für Dich selbst.
Ja, auch jetzt und vielleicht gerade jetzt ist es wichtig, für uns selbst gut zu sorgen. Das hat nichts mit Ignoranz zu tun, sondern hilft uns, einen möglichst klaren Kopf zu behalten, und besonnen und mitfühlend zu handeln. Wie wir gut für uns sorgen, das muss jeder für sich selbst herausfinden. Denn nicht nur unser Stresserleben, unser Umgang mit dieser Situation ist individuell verschieden. Auch das, was wir jetzt brauchen, um stabil und zuversichtlich zu bleiben, kann von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich sein.
Du kannst zum Beispiel…
… raus gehen in die Natur
Nimm wahr, wie der Frühling kommt, du kannst ihn schon riechen. Sieh das zarte Grün, das sich an mehr und mehr Sträuchern und Bäumen zeigt. Hör genau hin, wie die Vögel zwitschern und spür jeden einzelnen Sonnenstrahl, der Dich berührt. Tauch mit allen Sinnen ein und sei ganz im Moment. Selbst wenn die Sonne sich hinter Wolken versteckt – ein bedeckter Himmel spendet Dir noch so viel Helligkeit, dass sich das positiv auf Deine Stimmung auswirkt.
… atmen
Nimm möglichst viel von der frischen Luft da draußen auf in Deine Lunge. Atme dazu tief durch die Nase ein. Und wenn es sich gut anfühlt, dann halte für einen Moment den Atem an. Vielleicht kannst Du spüren, wie sich frische Energie in Deinem Körper ausbreitet. Dann atme vollständig und lang wieder aus. Du kannst durch die Nase ausatmen, oder aber durch den geöffneten Mund und mit einem Seufzer alles Verbrauchte nach draußen abgeben. Wiederhole das ein paar Mal.
Wenn wir gestresst oder angespannt sind, neigen wir häufig dazu kürzer und flacher zu atmen. Bewusstes tiefes Einatmen und mindestens so langes Ausatmen beruhigen unser vegetatives Nervensystem und aktiveren den Parasympathikus, unser Entspannungssystem.
… meditieren
Schenk Dir morgens bevor Du in den Tag startest (und bevor du Mails und Nachrichten im Handy checkst) zehn Minuten Zeit mit Dir selbst. Setz dich hin und sei einfach still. Versuche, ganz im diesem Moment zu sein. Wenn es Dir hilft, dann beobachte wie Dein Atem fließt, ganz von allein. Du musst nichts weiter tun, nur beobachten wie der Atem kommt und wieder geht. Vermutlich werden bald Gedanken kommen und Deine Stille stören. Das macht nichts, nimm sie kurz wahr und dann lenk Deinen Fokus wieder auf Deinen Atem, auf das Hier und Jetzt.
Wenn Du Dir über drei Wochen lang täglich diese Zeit nimmst, fällt es Dir immer leichter und sie wird Teil deiner Morgenroutine. Routinen oder auch Rituale sind wie ein Anker, sie geben uns Stabilität und Sicherheit, wenn es um uns herum unsicher ist.
… Dich bewegen
Wenn wir angespannt sind und viele sorgenvolle Gedanken mit uns herumtragen, sind kurz gesagt jede Menge Stresshormone in unserem Körper unterwegs, dazu vermehrt Blutzucker und Blutfette. Bewegung hilft, all das wieder abzubauen und die negativen Folgen von Stress zu reduzieren.
Außerdem werden durch den Sport Glückshormone freigesetzt, also beweg Dich ausreichend. Laufe oder spaziere zum Beispiel durch den Wald oder den Park, nimm das Rad statt des Autos, die Treppe statt des Aufzugs, übe Yoga, tanze und bau möglichst viel Bewegung in deinen Alltag ein.
… Dir Begleitung suchen
Wenn Du das Gefühl hast, dass Du allein nicht zurecht kommst mit den Ereignissen und den Ängsten, die sie in Dir auslösen, dann bleib nicht allein damit. Vertraue Dich einem nahestehenden Menschen an oder suche Dir professionelle Unterstützung. Du musst diesen Weg nicht allein gehen.
Vielleicht denkst Du bei manchem, was Du jetzt gelesen hast: Wie kann ich tanzen, wenn 2.000 km entfernt ein Krieg wütet? Wie kann ich mich am Frühling erfreuen, während unzählige Menschen auf der Flucht sind? Wie kann ich einfach dasitzen und still sein?
Ich glaube, dass wir damit nichts Schlechtes tun. Das Leben ist alles gleichzeitig. Glück und Trauer, Lachen und Weinen, Frieden und Krieg. Das alles ist in jeder Sekunde enthalten. Freude und Leid liegen so nah beieinander und wir sind ein Teil von all dem. Wir können uns nicht dem einen öffnen und uns vor dem andern verschließen. Wir können nur das annehmen, was gerade ist und was wir nicht verändern können. Was nicht bedeutet, es gutzuheißen. Sondern unseren Geist zu beruhigen und die schwierigen Gefühle da sein zu lassen, mit ihnen umgehen zu lernen und zugleich gut für uns zu sorgen.
Nur so haben wir die Kraft auch für andere hilfreich zu sein, zu einem Raum zu werden, in dem andere Menschen lufthohen können, wenn sie möchten. Die, die zu uns geflüchtet sind, oder die, die sich hier machtlos und ängstlich fühlen.
Sorge gut für Dich in diesen Tagen
10. März 2022